Glaubt
man der Presse, ist in der Schweiz der Traum vom Eigenheim für viele geplatzt.
Diese Aussage, so plakativ sie ist, ist aber falsch. In wie kaum einem anderen
Land „regiert“ in der Schweiz das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das gilt
auch für den Immobiliensektor. Wichtig ist, dass diese Nachfragesteigerung –
anders als beispielsweise in Deutschland – ausschließlich ausgelöst wird durch
Menschen, die in der Schweiz leben oder dorthin „siedeln“, wie es im
Schwyzerdütschen heißt. Denn nur die dürfen Immobilien zu Wohnzwecken in der
Schweiz kaufen. „Auch wenn also die Preise für Immobilien in der Schweiz in den
letzten beiden Jahren deutlich gestiegen sind, besteht keine Besorgnis wegen
einer möglichen Überhitzung. Schauen wir uns die Gründe dafür an“, sagt Unternehmensberater Michael Oehme.
Unternehmensberater
Michael Oehme: Eigentum als Privileg?
„Ein eigenes Haus mit Garten – das bleibt für
den Großteil der Bevölkerung unerreichbar, wie eine Studie der Raiffeisen
zeigt. Grund sind die steigenden Preise“, schreibt 20min Schweiz. Die Redakteure beziehen sich dabei auf
Veröffentlichungen von Martin Neff, dem Chefökonom von Raiffeisen
Schweiz. Danach stiegen die Preise für Immobilien in der Schweiz
seit rund 20 Jahren. Und ein Ende sei nicht in Sicht. Daher könne sich ein
Großteil der Bevölkerung eine eigene Immobilie nicht mehr leisten. Trotz dieser
Dynamik gäbe es aber laut der Bank kein Platzen einer Blase. Denn die
derzeitigen Preise seien dank der starken Aufwärtsdynamik klar begründbar und
nicht das Resultat von Spekulationen, lässt
sich sogar Heinz Huber, CEO von Raiffeisen in
mehreren Beiträgen zitieren. Fakt ist: In der Schweiz steigen
die Immobilienpreise. Dass sich weite Teile der Bevölkerung dies nicht mehr
leisten können, mag richtig sein, wie wir nachfolgend aufzeigen werden. Aber es
sind eben auch immer noch genug Menschen bereit und in der Lage, eine Immobilie zu
erwerben. Und dies ist, das mag verwundern, sogar eher möglich als in
Deutschland, wo sich das Einkommensniveau viel deutlicher von den Immobilienpreisen entfernt hat. Danach benötigt ein durchschnittlicher
Haushalt in der Schweiz laut Raiffeisen Economic Research 8,42
Jahre um eine typische Eigentumswohnung abzubezahlen. In Deutschland sind es
9,12 Jahre. In Frankreich übrigens 13,48 Jahre. Schaut man sich die Mindesteinkommen in der
Schweiz an, erklärt sich die Diskrepanz schnell.
Vermögende Schweizer?
Durchschnittlich verdient eine Aldi-Mitarbeiterin an der Kasse rund 50.000 Schweizer Franken
im Jahr. Das ist deutlich mehr als in Deutschland. Lebt diese Frau mit einem
Kraftfahrzeugmechaniker zusammen, dessen Grundlohn ähnlich hoch ist, können
sich beide durchaus eine 3,5-Zimmer-Wohnung in St. Gallen zur Miete leisten,
die für 1600 Franken zu haben ist. Das gleiche Paar dürfte in München oder
Berlin deutlich größere Probleme haben. Was an dieser Darstellung so wichtig
ist: Egal, wie man es interpretiert, dass die Schweiz das Land mit dem höchsten
Brutto-Pro-Kopf-Einkommen der Welt ist, die Mehrheit der Schweizer
kann mit seinem Einkommen gut
leben und trägt damit zum Konsum, aber eben auch für marktgerechte Preise im
Immobiliensektor bei. Die Schweiz hat im Ranking von 60 Ländern das höchste
Brutto-Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Beim Netto-Geldvermögen rutschte sie auf
den zweiten Platz mit 227.277 Schweizer Franken pro Kopf.
Zugestanden ist, dass dieses Vermögen ungleich verteilt ist. Aber selbst, wenn
es eine nicht unerhebliche Anzahl von Superreichen in der Schweiz gibt, deren
Zahl zunehmend wächst, ist die Mehrheit der Schweizer gut situiert und die
privaten Geldvermögen vermehren sich in der Schweiz genauso wie das
Immobilienvermögen. Laut der Schweizer Nationalbank hat
sich das Geld- und Immobilienvermögen mit über vier Billionen Schweizer Franken in
den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt.
Hohe Finanzierungsvoraussetzungen
Dabei dürfte sich das beispielhafte
Paar (die Aldi-Kassiererin und der Kfz-Mechaniker) vermutlich
keine Immobilie leisten können, denn in der Schweiz gelten
im Hinblick auf Finanzierungen besonders strenge Regeln. So dürfen die Banken
nur Kredite vergeben, wenn die Kunden
mindestens 20 Prozent Eigenkapital mitbringen und sie den Hypothekarzins auch
dann zahlen könnten, wenn er auf fünf Prozent ansteigen würde. Auch wenn er –
wie in Deutschland – derzeit nur bei rund einem Prozent liegt.
Grundsätzlich gilt dabei die Faustregel, dass die Gesamtbelastung aus
Amortisation, Hypothekarzins und Nebenkosten nur ein Drittel des Nettoeinkommens
betragen darf. Damit zeigt es sich, dass sich viele Schweizer – trotz vergleichsweisen hohen Einkommens –
schlicht keine Immobilie leisten kann. Und das ist auch gut so, denn was es
bedeutet bzw. bedeuten kann, auf vielen faulen Krediten zu sitzen, hat nicht
zuletzt die Subprime-Krise gezeigt. Die Hypothekenvoraussetzungen sind
damit ein wichtiger Beitrag im Verbraucherschutz, denn er seine Finanzierung
„mit der spitzen Feder rechnen muss“, hat im Zweifel bei einer geringen
Erhöhung der Zinsstruktur oder
bei einer Anschlussfinanzierung das Nachsehen.
Warum es nicht zum Crash kommt
Dargestellt haben wir zum einen, warum nur
eine begrenzte Zielgruppe sich in der Schweiz eine Immobilie leisten kann und damit risikoreiche
Finanzierungen verhindert werden. Denn es sind gerade die steigenden
Finanzierungsvolumina, die ein Indikator für Immobilienblasen sind.
Ferner, dass die Nachfrage
„hausgemacht“ ist, also nicht durch eine steigende Zahl ausländischer Käufer ausgelöst wird. Die Nachfrage wächst
organisch durch die steigende Zahl der Bevölkerung. Steigen die Preise, sinkt
die Zahl der Kaufwilligen. Das sich dies kaum auf das Preisniveau auswirkt, liegt schlicht am fehlenden
Angebot. So wird heute rund 40 Prozent weniger Wohneigentum gebaut als noch vor
zehn Jahren. Sollten die Preise sinken, greifen eben die zu, die sich heute
keine Immobilie (mehr) leisten können. Dies stabilisiert
ebenfalls die Preise. Das ist typischer Effekt der Übernachfrage. Nicht zuletzt
bietet das „Betongold“ ein wichtiges Fundament für das wirtschaftliche
Wachstum. Und dessen Kennzahlen sind auch für 2022
außergewöhnlich.
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